Ein evidenzbasiertes Plädoyer für manuelle Therapie
von Tilo Mörgen (Dipl. Soz., Pohltherapeut)
Artikel geprüft von:
- Prof. Dr. Hajo Schneck (Arzt für Anästhesiologie, Schmerztherapie),
- Dr. Petronela Monticelli-Mayer, M.D. (plast. Chirurgie)
- Dr. Evelyn Bittner (Ärztin für Allgemeinmedizin, Anästhesie), Pohltherapeutin
Sind myofasziale manuelle Therapien nützlich?
Therapieformen, die bei vielen „unerklärlichen“ Beschwerden und chronischen Schmerzen (Pohl 2010, Bruckmann 2021) Muskeln und Faszien (=myofaszial) als Verursacher oder Mitverursacher betrachten, nehmen zu. Damit steigen die Bemühungen, manuelle Behandlungsansätze zu finden und weiterzuentwickeln, sowie deren Evidenz, also Belege und Erklärungen für ihre Wirksamkeit.
Schon vor fast vierzig Jahren wurde die Vermutung geäußert, dass etwa 30% der chronischen muskuloskelettalen Schmerzen in Rücken, Nacken, Schulter, Hüfte und Becken, sowie der Kiefer-, Hals- und Kopfschmerzen, eine myofasziale Ursache haben (Skootsky et.al. 1989, Fricton 2016).
Jüngere systematische Reviews (Amstel 2023, Antohe 2024, Piri 2024) über die Studienlage zum Nutzen manueller Release-Therapien (Bewegungsumfang bei Sportlern bzw. Rückenschmerz) kommen zu dem Schluss, dass die vorliegenden Ergebnisse zwar nicht dazu berechtigen, diesbezüglich ein abschließendes Urteil zu fällen; es bestünden jedoch ausreichend positive Hinweise zur Nützlichkeit manueller Verfahren bei myofaszial bedingten Beschwerden, sodass weitere Studien sinnvoll, aber auch erforderlich seien (das entspricht im wissenschaftlichen Sprachgebrauch der niedrigsten Evidenz-Stufe).
Faszienmobilität, Propriozeption (Körperwahrnehmung) und myofasziale Schmerzen sind Themen, die bis 2021 in der wissenschaftlichen Forschung zumeist getrennt betrachtet wurden (Langevin, 2021) In der täglichen manuellen Therapie spielen sie jedoch durchaus eine gemeinsame Rolle. Dort sind die Anpassung von Behandlungsstrategien und der Einsatz verschiedener Techniken sowie deren Weiterentwicklung Gegenstand von Überlegungen und Beobachtungen bei der Behandlung von Schmerzpatienten.
Neue Forschungsergebnisse, wie im Folgenden dargestellt, können helfen, Interventionen zu entwickeln und zu begründen, von denen die Therapeuten zwar durch Erfahrung überzeugt sind, zu deren potentieller Wirksamkeit jedoch (bisher) keine wissenschaftliche Erklärung vorlag. Außerdem können die Ergebnisse helfen, Techniken anzupassen und weiterzuentwickeln sowie Neues zu integrieren.
Fortschritte in der Technologie ‒ durch zum Beispiel höher und schneller auflösende Ultraschallgeräte, Elektromyographie und Histologie ‒ erlauben eine Untersuchung der Faszien und des extrazellulären Gewebes, wie sie früher gar nicht möglich war (Cai 2019, Wilke 2021).
Grundlagen: Was sind Faszien?
Faszien sind überall in uns. Lange Zeit galten sie als „Kleber“ („Binde“gewebe) oder als Haltematerial. Dann gab es erste neue Erkenntnisse und die Wissenschaft begann, diese Erkenntnisse neu zu ordnen. Auf Vorschlag der International Federation of Associations of Anatomists (IFAA) wurde 2015 eine erste einheitliche anatomische Definition und Beschreibung durch das Nomenclature Committee des Fascia Research Congress entworfen. Ein Teil der derzeitigen gültigen Beschreibung lautet:
„Das Fasziensystem umhüllt, durchzieht und verbindet alle Organe, Muskeln, Knochen sowie Nervenfasern miteinander und verleiht dem Körper seine funktionelle Struktur, die ein ganzheitliches Zusammenwirken aller Körpersysteme ermöglicht“ (Stecco et.al. 2018)
Ferner besteht weitgehender Konsens über die folgenden Punkte:
- Faszien haben sensorische Fähigkeiten und sind an Schmerzen beteiligt (Mense 2021)
- Sie verleihen dem Körper eine funktionelle Struktur (Schleip 2014)
- Faszien spielen eine Rolle bei der Wundheilung und Narbenbildung (Rinkevich 2024)
- Sie übertragen Kräfte aus den Muskeln (van der Wal 2009).
- Sie bilden myofasziale Ketten und besitzen damit Bedeutung für das gesamte Bewegungssystem (Wilke 2016)
- Durch die Mitwirkung an der Kraftübertragung und ihre sensorischen Fähigkeiten tragen sie zur Bewegungsausführung und -steuerung bei (Langevin 2021).
- Durch ihre Beschaffenheit bilden sie ein „funktionales Zugspannungsnetzwerk“ (Schleip et.al. 2024)
- Faszien stellen ein anatomisches System dar, das als geschichtetes körperweites Netzwerk von Bindegewebe definiert ist, welches Spannungsbelastungs- und Schermobilität entlang seiner Grenzflächen ermöglicht (Stecco C et.al. 2025)
- Faszien bilden ein System, welches optimales gleichmäßiges Gleiten ermöglicht (Guimberteau et. al. 2008)
- Das fasziale System besteht aus vier anatomischen Organen (welche im Sinne der gemeinsamen Funktionen aber nicht streng getrennt sind): der oberflächlichen Faszie, der muskuloskelettalen (tiefen) Faszie, der viszeralen Faszie und der neuronalen Faszie (Stecco C et.al. 2025)
Schmerzen
Die Schmerzqualität wird von Patienten durchaus verschieden geschildert: punktuell, genau lokalisierbar oder eher unbestimmt flächig, dumpf, brennend, oder mehr als Missempfindung („ein fieses Gefühl“). Dann wieder wird ein brennender, genau lokalisierter Schmerz angegeben, der sich unter Umständen abwechselt mit einem „ekligen fiesen Schmerzgefühl ganz tief drinnen“.
Beschwerdebilder vieler „unerklärlicher Beschwerden“ (Bruckmann 2024, Bruckmann 2022, Bruckmann 2021, Pohl 2010) für manuelle Therapeuten und Therapeutinnen sind beispielsweise:
- Kloß im Hals
- Missempfindungen wie Fremdkörpergefühle
- Rückenschmerzen
- Schulter- und Nackenbeschwerden
- Genitale Schmerzen
- Damm- und Afterbeschwerden
- Blasenschmerzen
- Kälteempfindlichkeit
- Schluckstörungen
- Schwindel und Tinnitus
- Kieferprobleme (CMD)
- Brustwandschmerzen
- Beinschmerzen und Gehstörungen
- Bewegungseinschränkungen
- u.v.m.
Dafür gibt es interessante Erklärungsansätze, die ausgeführt werden.
Ausstrahlung von Schmerzen
Viele Patienten und Patientinnen schildern Beschwerden - Schmerzen, Missempfindungen -, die in andere Körperbereiche ausstrahlen: „den Rücken hoch“, „das Bein hinunter“, „Brennen bis in den Schambereich“, „ein Druckgefühl im Brustkorb bis hin zum Kloß im Hals“ etc.
Klassisch gilt eine klare Unterscheidung zwischen Bändern (Ligamenten) und Sehnen. „Sehnen (lat. tendo) sorgen für Beweglichkeit. Sie sind die Verbindung zwischen Knochen und Muskeln und haben die Funktion, die Muskelkraft zu übertragen. Die größte und stärkste Sehne des menschlichen Körpers ist die Achillessehne. Bänder (lat. ligamentum) hingegen stützen und stabilisieren die Gelenke. Sie sind das Bindeglied zwischen den Knochen“ (https://izo-atos.de/rekonstruktion/ vom 13.1.2025). Diese klassische Sicht findet sich auch bei Wikipedia und vielen anderen.
Die moderne Faszienforschung zeigt jedoch, dass die Faszien Einflüsse auf die „stützenden und stabilisierenden“ Ligamente ausüben. Es gibt also „dynamische“ Muskel-Knochen- und Muskel-Muskel-Verbindungen (z.B. auch von Synergisten zu Antagonisten) sowie Verbindungen zu faszialen Systemen bzw. Schichten und damit zu verschiedensten myofaszialen Rezeptoren (Stecco A, 2023). Dies stellt einige langjährige anatomische Grundannahmen rund um Gelenkmechanik und Lastübertragung in Frage. Muskel-Gelenk-Sehnen-Kombinationen sind nicht mehr das einzige Element für die Organisation der Bewegung. Van der Wal (van der Wal 2009) spricht sogar von „Dynamenten“ anstelle von Ligamenten, was auf die neue Betrachtungsweise hinweist und den Blick darauf richtet, dass und warum Beschwerden über den engeren lokalen Bereich hinausgehen können (der Begriff hat sich allerdings bisher nicht wirklich durchgesetzt).
Diese neue Sicht wird auch unterstützt durch die Beschreibung ganzer faszialer Ketten - quasi von den Füßen bis zum Kopf (Wilke 2016, Wilke 2025) oder aufsteigender (distal zu proximal) Prozesse nervaler Schmerzentstehung beispielsweise von der Wade bis zum Iliosakralgelenk (Mense 2021).
Für die manuelle Therapie bedeutet das, besser zu differenzieren zwischen den Orten der Schmerzentstehung und den Orten der Schmerzperzeption (die Schmerzempfindung findet noch viel weiter oben statt, wenn oben ist, wo das Gehirn ist).
Schmerzen ohne erkennbare Ursache?
Bei vielen Schmerzen, Missempfindungen und Funktionsstörungen, für die organisch keine Ursache gefunden werden kann, wird eine psychische Komponente angenommen. Dies spiegelt sich z.B. in der Diagnose „Globus nervosus“, der früher sogar „Globus hystericus“ genannt wurde, wider. Es handelt sich dabei um ein störendes Fremdkörpergefühl im Hals, bei dem weder Kehlkopf noch Schilddrüse pathologische anatomische Befunde aufweisen.
Inzwischen steht außer Zweifel, dass es in den Faszien verschiedene, für die manuelle Therapie relevante, Typen von spezialisierten propriozeptiven und damit auch in den Komplex „Schmerz“ eingebundenen Mechanorezeptoren gibt: Golgi-, Pacini- und Ruffini-Rezeptoren sowie die Muskelspindeln und die freien Nervenendigungen (Schleip 2017). Wir werden sehen, dass wir als Therapeuten und Therapeutinnen die Physiologie dieser Rezeptoren berücksichtigen und sie so erfolgreich in unser therapeutisches Konzept einbauen können.
REZEPTOREN
Golgirezeptoren, auch Sehnenspindel genannt, wurden erst mit dem Elektronenmikroskop sichtbar gemacht, obwohl deren Existenz fast hundert Jahre vorher von Camillo Golgi postuliert wurde. Die Rezeptoren sind beteiligt an der Übersetzung von Impulsen der Muskelspindeln und -sehnen wie auch an der Bildung extrazellulärer Matrix. Schlechte Übersetzung bedeutet hier geringere oder überlagerte Signalqualität – damit verschlechterte Muskelsteuerung vgl auch: https://flexikon.doccheck.com/de/Sehnenspindel vom 5.1.2025
Pacini-Körperchen oder auch Vater-Pacini-Körperchen genannt. Entdeckt schon von Abraham Vater im 18. Jahrhundert und wiederentdeckt von Filippo Pacini im 19. Jahrhundert. Sie sind Teil unserer Beschleunigungssensoren. Sie steuern damit unsere Bewegungen und unterstützen auch die Wahrnehmung von Vibrationen. Viele davon finden sich in der Subcutis und besonders viele beispielsweise in den Fußsohlen. Ummantelt sind diese Körperchen von Bindegewebe (vgl. Spektrum.de vom 5.1.2025). Daher ist auch das Augenmerk der Faszienforschung auf diese Sensorik ausgerichtet.
Ruffini-Körperchen oder auch Ruffinirezeptoren, stellen Bindegewebskapseln dar. Sie reagieren auf langsame Bewegungen – Druck und Scherbewegungen fallen darunter (vgl. Spektrum.de vom 5.1.2025). Verändert sich aber die Struktur des umgebenden Bindegewebes so verändert sich mutmaßlich auch das „Wahrnehmungsspektrum“ bzw. die Steuerung durch die Rezeptoren. Von daher richtet sich die manualtherapeutisch orientierte Faszienforschung auch an diesen Systemen erkenntnissuchend aus.
Allodynie: Wenn schon der Rollkragen am Hals schmerzt
Allodynie (gesteigerte Schmerzempfindlichkeit) tritt zum Beispiel auf, nachdem Verletzungen oder Entzündungen abgeklungen sind. Viele, die eine Gürtelrose durchgemacht haben, kennen diese oft kaum erträglichen Zustände. Einige Patienten, die unter myofaszialen Beschwerden leiden, schildern solche Empfindungen ebenfalls.
Muskelspindeln
Seit 2021 der Nobelpreis für Medizin an die Schmerzforscher David Julius und Ardem Patapoutian verliehen wurde, wird den von ihnen entdeckten Piezo-Membranrezeptoren (Dubin 2010) auf der Oberfläche menschlicher Muskelspindeln zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt. Es geht bei der piezo-vermittelten Mechanorezeption (Coste 2010, Julius 2001) - Piezo-1 und Piezo-2 Rezeptoren wie sie auch in der kristallinen Struktur der Faszien vorkommen - nicht um heftige Stösse oder Schläge mit einem schweren Gegenstand, sondern um Berührungen wie Streicheln oder Umarmen.
Muskelspindeln sind zudem Mechanorezeptoren, welche Kontraktionsumfang, Kontraktionsgeschwindigkeit und Änderungen der Muskeldehnung in der quergestreiften Muskulatur erfassen (Huggenberger et al. 2019). Sie befinden sich in Bereichen, an denen Zugkräfte übertragen werden. Und genau hier finden sich auch viele Propriozeptoren (van der Wal 2009). Schon vor über 50 Jahren entdeckten Peter Matthews und Kollegen an der Oxford Universität, dass die Aktivität der Muskelspindeln den Lage- und Bewegungssinn (Propriozeption) beeinflussen (Goodwin 1972).
Die Muskelspindel ist von einer Kapsel aus Bindegewebe umgeben (Stecco A et. al. 2014) und ist vernetzt mit den Muskelfaserbündeln des Perimysiums. Muskelspindeln reagieren schon auf Druckänderungen (Bewegungsimpulse) im Bereich von 3 g/cm2.
Matrixwunderwelt der Narben
Faszien versiegeln Wunden, das kann zu unerwünschten Fibrosierungen führen.
Fibroblasten verteilen sich aus tieferen Schichten bis unter die Haut in Begleitung einer extrazellulären geleeartigen Matrix einschließlich Blutgefäßen, Makrophagen und Nerven. Wissenschaftliche Ergebnisse weisen darauf hin, dass Hautwunden auf eine besondere Charakteristik dieser Faszienmatrix (Rinkevich 2019) bzw. die dazugehörigen Schmerzen auf spezielle Fibrosierungsprozesse zurückzuführen sind (Mense 2021). Inzwischen findet die Forschung Ursachen für die Narbenbildung bei Säugetieren (Rinkevich 2019). EPS (engrailed 1-positive fibroblasts) treiben die Narbenentwicklung voran, während ENF´s (Engrailed 1-naïve fibroblasts) in Zusammenhang mit einem speziellen Protein die Narbenbildung verringern bzw. behindern. Leider verlieren wir die ENF´s mit dem Heranwachsen und erleben dann statt narbenfreier Regeneration eben die Heilung mit Narbenbildung (Rinkevich 2024). Ein Traum von Heilung durch Regeneration für viele Lungenkranke, die unter einem fibrosierten Bindegewebe in der Lunge schwer leiden und eine spannende Zukunftsvision für plastische Chirurgen und Chirurginnen. Die Forschung ist dabei diese Narbenbildungsprozesse in der Grundlagenforschung zu manipulieren. Für uns in der manualtherapeutischen Praxis können Narben schmerzhafte Zugsysteme, Unbeweglichkeiten etc. verursachen, die wiederum myofasziale Beschwerden auslösen können. Dazu gehören: Cross-Links, Durchblutungsstörungen, Entstauungsproblematiken und motorisch-funktionelle Symptome. Narben lassen sich manualtherapeutisch behandeln unter anderem durch forciertes und unter Umständen langsames Verschieben des Gewebes. Dadurch werden Reaktionen ausgelöst wie die Einwanderung von neutrophilen Granulozyten, die in den Tagen danach Proteinasen synthetisieren und kollagene Strukturen aufbrechen (Bringeland 2017).
Eine Erklärung für Gangunsicherheiten, Bewegungsstörungen?
Bei Nichtgebrauch oder im Älterwerden fibrosiert das Perimysium (vgl. de Bruin 2014), es wird fester und spröder, ein multifaktorielles Geschehen. Die Propriozeption des Gewebes wird eingeschränkt. Die Spindel ist unelastisch eingekapselt und von Bewegungsimpulsen (Mense 2016) oder Dehnungsreizen abgeschirmt (Hirata 2020). Folgt man der Idee Ockhams (Philosoph des 14. Jahrhunderts), wonach unter konkurrierenden Hypothesen, diejenige vorzuziehen ist, die weniger „wilde Spekulationen“ enthält, so könnte die fibrosierte Umhüllung der Spindeln, eine plausible Erklärung dafür sein, dass Gangunsicherheiten und Steuerungsprobleme im Alter dadurch mitverursacht werden. Etwas, was noch zu beweisen wäre. Allerdings: Tesarz (2016) spricht davon, dass Störungen der Faszien Informationen der Spindeln an das zentrale Nervensystem verzerren und somit Bewegungen beeinträchtigen. Basierend auf Feldenkrais hat Hanna
einen ähnlichen Mechanismus als „sensomotorische Amnesie“ (Hanna 2020, S. 20) bezeichnet, in dessen Folge zunehmender Funktionsverlust der Bewegungssteuerung und entsprechende Beschwerden und Schmerzen die Folge sind (Mense 2021). Müller-Wohlfahrt verweist hier auf funktionelle Muskelstörungen (ohne makroskopischen Nachweis im MRT), die allerdings zu 50% der Ausfälle bei Fußballprofis führen (Wohlfahrt 2025, S. 126f.).
Ziel der manuellen Therapie ist es, die Gleitfähigkeit der Faszienschichten - durch Druck- und Bewegungstechniken - zu verbessern oder wiederherzustellen, eine Veränderung, die im Ultraschall auch nachgewiesen werden konnte (Luomala et al. 2014; Stecco A,et al. 2014b).
Warum löst Bewegungsarmut Schmerz aus?
Früher lautete die Hypothese, es würde nur ein Reiz durch die Eingangskontrolle (Gate) gelangen nach dem Motto: Man spürt nur einen Schmerz, nicht mehrere gleichzeitig. Der aktuelle Wissensstand zeigt allerdings deutlich komplexere Verhältnisse:
Forschungsergebnisse belegten bereits vor 25 Jahren, dass die entsprechenden „gate-Neurone“ im dorsalen Rückenmark regelmäßig mehrere unterschiedliche Reize und Reizarten verarbeiten (und deshalb mit „wide dynamic range - WDR Neurons“ bezeichnet werden). Sinngemäß wird dabei die Menge - Intensität - Summe der eingehenden Reize halbwegs konstant gehalten. Das bedeutet, dass bei Verminderung oder komplettem Ausfall propriozeptiver Reize der Anteil anderer, vor allem nozizeptiver Reize (Dubin & Patapoutian 2010) ansteigt und mit ihm die nach zentral (hirnwärts) weitergegebenen Schmerzimpulse (Luoto 1999, Taimela 1999, Leinonen 2003). Die gut etablierte Schmerztherapie mit TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation) beruht auf diesem Prinzip.
Das ist auch einer der Gründe dafür, dass zu wenig Bewegung oder Schonhaltungen Schmerzen auslösen oder verstärken können.
Muskel- oder Faszienschmerz?
Als subjektives Phänomen ist der Schmerz durch Dritte weder qualitativ noch in seiner Stärke (quantitativ) nachvollziehbar zu charakterisieren. Dennoch entsteht in der manualtherapeutischen Arbeit durchaus eine Einschätzung darüber, ob ein Schmerz mehr muskulär oder durch Faszien bedingt ist.
Eine Untersuchung eines Heidelberger Teams (Schilder 2014), die Schmerzen mittels einer Injektion in Muskel oder Faszie gezielt verursachten, stellte dazu fest: Schmerzen, die gezielt im faszialen Gewebe verursacht wurden, waren stärker und wurden als „quälend“, „heftig“ und „scheußlich“ (S.92) beschrieben. Muskelschmerzen wurden beschrieben mit „klopfend, pochend und heiß“ (S.91). Das sind Beschreibungen, die auch in der täglichen Praxis der Manualtherapie auftauchen, wobei Muskelschmerzen oft klar lokalisiert werden, während fasziale Beschwerden unbestimmter sind, was ihren Ort betrifft „irgendwo ganz tief drin“ und qualitativ „fies“. Erfahrene Therapeuten und Therapeutinnen wissen die Behandlung darauf abzustimmen.
Beschwerden und Stress
Mense stellte mit seinem Team fest, dass sympathische Nervenendigungen der am häufigsten vorkommende Rezeptortyp in der Rückenfaszie (fascia thoracolumbalis,TCL) sind (Mense, 2019). Diese Sensortypen arbeiten vasokonstriktiv – das geht in der Nähe von Blutgefäßen unter anderem mit mess- und fühlbaren Temperaturveränderungen im Gewebe einher. Damit spiegelt diese Veränderung dann potenziell akute oder chronische emotionale Veränderungen wider. Solche geringfügigen Temperaturdifferenzen können von erfahrenen Therapeuten und Therapeutinnen „aufgespürt“ werden.
Stress: Kennen Sie das? Sie arbeiten noch ein Projekt ab und dann gibt es endlich den verdienten Urlaub. Sie genießen kurz die verschwindende Anspannung und bald darauf erwischt Sie eine Krankheit.
Einen ähnlich verspäteten Prozess bezüglich Beschwerden gibt es auch in der Rückenfaszie: Hier (wie auch an anderen Stellen) wird ein Botenstoff - Zytokin TGF-beta1 (Bhowmick 2009) – freigesetzt, der sich aber erst „verspätet“ durchsetzt und für kontraktile Veränderungen sorgt (Schleip 2023). Wir bekommen also nicht sofort den Rückenschmerz zu spüren, sondern später.
Schlussfolgerungen für die manuelle Behandlung
Die Betrachtung verschiedener Rezeptoren und ihrer Funktion bzw. Reaktion lassen derzeit folgende fünf Ableitungen zu:
1. Pandiculation und aktive Kontrahierung
Golgi-Rezeptoren reagieren auf Zugbelastung und liegen oft an myotendinösen Verbindungsstellen und in der Nähe der intermuskulären Septen. Aufgrund der seriellen Anordnung der Golgi-Sehnen-Organe mit den damit verbundenen Muskelfasern werden diese nur aktiviert, wenn Muskeln kontrahiert sind. Passive Dehnungen wirken vor allem auf die entspannten Muskelfasern, sodass die Stimuli nicht ausreichen, um die Golgi-Sehnen-Organe zu aktivieren (Huggenberger et.al. 2019)
Eine praktische Schlussfolgerung daraus ist, dass ein Dehnungsimpuls, der auf das Sehnengewebe abzielt, dann wirksamer ist, wenn die verlängerten Muskelfasern für einige Momente aktiv kontrahieren oder der Dehnung vorübergehend Widerstand bieten (Schleip 2023). Das wäre eine Bestätigung der manuellen Therapie mit exzentrischen Übungen (Wilke 2025) bzw. Pandiculations nach Thomas Hanna. Die zweite Methode: Druck auf die Muskelansätze am Knochen, zum Beispiel am Okziput, bis die Patienten eine leichte parasympathische Aktivierung erleben (Schleip 2024).
2. Wechsel: Druckänderung und Vibration
Beachten wir beim Behandeln die Pacini-Rezeptoren (siehe Abbildung). Diese reagieren eher schnell im Sinne von Druckänderungen und Vibration (Lesondak 2017; Schleip 2004).
Therapeutisch hat das folgende Konsequenzen: „Sowohl sanftes Schaukeln als auch schnellere Vibration scheinen geeignete Stimulationsmethoden für diese Rezeptoren zu sein. Eine entsprechende Behandlung könnte daher positive Auswirkungen auf die regionale Propriozeption haben.“ (Schleip 2023) Die Ansichten von Feldenkrais und anderen passen in diesen Kontext manueller Behandlungsformen (Feldenkrais 1991, S. 20). Es ist also nicht ausnahmslos erforderlich, schmerzhaften Druck auszuüben, wie es oftmals bei der Therapie von Triggerpunkten geschieht.
3. Drücken oder Gleiten
Manuell arbeitende Therapeuten und Therapeutinnen können sich auch die physiologischen Eigenschaften der Ruffini-Rezeptoren zunutze machen, die eher durch ein „schmelzendes Drücken oder Gleiten“ (Schleip 2023b) zu beeinflussen sind, und auch auf Scherbewegungen der Faszienfasern positiv reagieren.
Schleip (2023b) beschreibt diese Technik und stellt eine zusätzliche Verbindung zum autonomen Nervensystem fest: „Hier wird eine langsame, aber feste Berührung bereitgestellt, die eine laterale tangentiale Scherbewegung auf die Haut sowie auf die Faszienmembranen unterhalb des subkutanen lockeren Bindegewebes ausübt. Sobald der Druck ein langsames Gleiten der Hand des Therapeuten in Bezug auf die Haut des Klienten erreicht, wird die Geschwindigkeit dieser Gleitbewegung auf die langsamste Dauergeschwindigkeit kalibriert.“ So langsam wie möglich und mit sanftem Druck: das ist eine Technik aus dem Rolfing, die der „Rolfer“ Schleip hier beschreibt. Dabei geht es ihm auch um die parasympathischen Auswirkungen im Sinne eines zusätzlichen körpertherapeutischen Stressabbaus. Die Reize können das Bewusstsein erreichen und „zu einer Resensibilisierung und Wahrnehmungsänderung und somit auch zu veränderten Bewegungsmustern führen.“ (Preck 2016)
4. Freie Nervenendigungen: Spannung und Bewegung kombinieren
Der größte Anteil der freien Nervenenden funktioniert (zumindest teilweise) als Mechanorezeptoren. Manche werden leichter aktiviert als andere. Überaktivierte freie Nervenendungen können sich in hochempfindliche reine Schmerzrezeptoren verändern. Damit sind sie eine weitere potenzielle Ursache myofaszialen Schmerzes (Lesondak 2017 Schleip 2004).
Die freien Nervenendigungen werden am effektivsten aktiviert, wenn das Fasziengewebe durch Muskelkontraktion bereits “vorgespannt” ist (Stecco C et al. 2019). Für die sensomotorische Körpertherapie liegt hier der Schlüssel zu Lösung in Pandiculations (Hanna 2020), exzentrischen Übungen und Muskelbehandlungen sowie aktiver Triggerpunktbehandlung
5. Oberflächliche Faszien: Festes langsames Gleiten
Gehen wir nochmal zurück zur Oberfläche - Behandlung geht eben unter die Haut. Die sogenannte Scherbeweglichkeit zwischen den Faszienschichten sowie die Verdickung der Schichten (Langevin 2011) sind Mitursachen für Schmerzen und Beschwerden (Langevin 2021; Wilke 2025). Die Unbeweglichkeit kann durch manuelle Techniken verbessert werden (Schleip 2004,Wilke 2019)
Gua Sha – Instrumente, selbst Löffel oder Kaffeelöffel oder auch metallene Faszienschaber, die langsam gleitend eingesetzt werden, wie es einige Therapeut*Innen ja schon tun, sind hier sinnvolle Instrumente, sofern man ein langsames Gleiten und Drücken (kein Quetschen) damit vornimmt. Auch hier bestätigt die aktuelle Forschung zunehmend die Vorstellungen von Rolf, Lewitt, Dicke und Taylor Still.
Bewegungsarmut, Bewegungseinschränkungen, sensomotorische Steuerungsprobleme und auch muskuläre Amnesien sind Themen der sensomotorischen Körpertherapie. Die
Wiederherstellung dieser Defizite und die Linderung bzw. Befreiung von Beschwerden sind Ziele manueller Therapie.
Dafür braucht es aktive und passive Bewegung: Manuelle Therapie, Übungen und Selbstbehandlungen und Körperbewusstseinstraining. Unser somatosensorisches System ist bei aktiven Bewegungen „untrennbar mit Motorik verbunden“ (Schönhammer 2013). Das propriozeptive System trägt zum „multimodalen sensorischen Input bei der motorischen Kontrolle“ bei (Bruhn & Wöhl 2009) und ist ebenso Teil des sensomotorischen Systems.
Störungen erspüren
Emotionsgesteuerter Körperkontakt, beispielsweise Streicheln (siehe Mechanorezeption), wird von sogenannten C-taktilen Nervenfasern aufgenommen, die die Haut durchziehen, und auch völlig unemotionale Berührungen aufnehmen wie die Landung eines Moskitos oder den Wind oder den Kontakt mit Haaren. Der emotionsgesteuerte Körperkontakt ist relevant, um die Folgen einer sanften Berührung zu verstärken, was wiederum das körperliche und geistige Wohlbefinden grundlegend unterstützt. (Schirmer 2023). Wir beeinflussen mit „Berührungen“ auch die freien Nervenendigungen. Diese werfen bei Aktivierung die Substanz P aus, welche u.a. die Gefäße erweitert und die Durchlässigkeit der Gefäßwände erhöht. In Faszien, wie der Thorakolumbalfaszie, finden sich die meisten sympathischen Nervenendigungen (Mense 2021, S. 95). Das erklärt Temperaturdifferenzen (sofern keine anderen medizinisch zu beachtenden Ursachen vorliegen) von Hautarealen in Körperregionen. Verklebungen werden damit in der manuellen Therapie spürbar.
Schmerzen, Beschwerden gehen einem unter die Haut. Die Rezeptoren unserer „Hautoberfläche“ bedienen zwar vor allem die exterozeptive Wahrnehmung (also die Wahrnehmung äußerer Reize) – insbesondere die taktile Wahrnehmung –, jedoch ist beispielsweise die Haut in den Handflächen oder an den Fußsohlen über Kollagenfasern mit der tiefen Faszie verbunden, so dass die Rezeptoren hier genauso der propriozeptiven Wahrnehmung dienen (Stecco C et. al 2016, Wilke 2025).
Behandlungsziel: Propriozeption in Gang bringen
Propriozeption bezeichnet die Fähigkeit des Körpers, die Position und Bewegung der eigenen Gliedmaßen und Muskeln im Raum wahrzunehmen. Diese Sinneswahrnehmung (Körperbewußtsein) ermöglicht es uns, Bewegungen zu koordinieren, die Körperhaltung wahrzunehmen und auf äußere Reize angemessen zu reagieren, ohne ständig visuelle Rückmeldungen zu benötigen.
Patienten*innen, die unter vielfältigen oftmals „unerklärlichen“ Beschwerden (Pohl 2010, Bruckmann 2020) leiden, basierend auf funktionsgestörten myofaszialen Systemen, kommen oft nach zahllosen fachärztlichen Untersuchungen und Diagnosen in die therapeutische Praxis, weil die Beschwerden weiterbestehen. Bei ihnen geht es darum, die Propriozeption zu verbessern.
Fest & tief oder sanft & oberflächlich behandeln?
Die oberflächlichen Faszien (Bindegewebe der Haut) können durch eine Massage erreicht werden wie auch durch eine Bindegewebsmassage der Pohltherapie®. Diese Faszien sind stärker an der Temperaturregelung, Blutversorgung, Regelung des Lymphflusses und mithilfe verschiedenster Rezeptoren (freie Nervenendigungen, sympathische Nervenzellen, Pacini- und Ruffini-Rezeptoren) beteiligt.
Die tiefen Faszien (Stecco 2016) wie die Rückenaponeurose oder die Rectus-Scheide oder auch Muskelfaszien beginnend mit dem Epimysium werden allenfalls indirekt erreicht. Diese tieferen Faszien haben viel mit der Propriozeption und der sensomotorischen Steuerung zu tun. Sie sind durch starken Druck und Bewegung zu erreichen wie zum Beispiel durch aktive Myogelosenbehandlung bei der Pohltherapie® oder Rolfing-Techniken. Im Bereich der Golgi-Sehnen und der Septen auch durch spezielle Drucktechniken bzw. speziell lösende Bewegungen nach oder mit begleitender gezielter exzentrischer Vorspannung. Noch tiefere Faszien können durch Aktivierung der Muskelspindeln beispielsweise mithilfe von Pandiculations nach Thomas Hanna oder speziellen druckhaften Verschiebungstechniken aktiviert werden.
Offen bleibt unter anderem die Frage: Was und welches System ist inwieweit an den vorhandenen Beschwerden mit welchen Anteilen beteiligt?
Tiefenbasierte Techniken
Routinierte Manualtherapeuten und -therapeutinnen können durch eine sorgfältige Anamnese und gründliche Diagnostik (die Beobachtung und Abtastung umfasst) Arbeitshypothesen treffen, die zu individuellen Behandlungsplänen führen und im Zuge der Behandlung laufend überprüft ‒ und je nach Entwicklung ‒ angepasst werden.
Eine Massage, die nicht nur an der Oberfläche streichelt, sondern versucht Septen, Perimysium und die Gefäßnervenstränge im Muskelinneren zu erreichen, um dort verhärtete Stellen zu lösen, kann die von Kollagenfasern gedämpfte Muskelspindel wieder befreien. Eine auf exzentrischer Muskelarbeit basierte Lösung einer muskulären Vorspannung, ähnlich den Pandiculations nach Hanna, kann zudem die Ansätze an den Septen erreichen.
Zu den tiefenbasierten Techniken der Faszienbehandlung gehört es, gebundenes Wasser mit aggregierten Hyaluronketten (HA) wieder in Bewegung zu bringen, um die Propriozeption wiederherzustellen. Hier sei nochmals erinnert an die Piezo-1 und Piezo-2 Rezeptoren in der kristallinen (wassergebundenen) Struktur der Faszien. Druck und Vibration sind hier
evidenzbasierte Techniken (Stecco A. 2023). Übungen (Bewegung, Körperbewusstseinstraining, Kraft) und Selbst- bzw Partnerbehandlungen unterstützen das myofasziale System bis hin zu den Fasziazyten (Stecco C. 2018), die dann Hyaluron produzieren und für mehr Beweglichkeit sorgen können.
Sensomotorische Körpertherapie kann also schon jetzt bei myofaszialen Problemen etwas Positives leisten: Manuelle Behandlungstechniken wie von Stecco, Schleip, Müller-Wohlfahrt, Pohl, Bruckmann, Feldenkrais, Hanna, Rolf, Taylor Still und anderen beschrieben, sind ja vorhanden und weisen erste wissenschaftliche Evidenzen auf (Barič 2024).
Aspekt der Empathie in der Behandlung
Sie haben starke Beschwerden und Missempfindungen, Sie schlafen schlecht und fragen sich, ob das je wieder gut wird. Sie suchen professionelle Hilfe und da sagt jemand „Organisch alles in Ordnung. Sie müssen sich mehr entspannen.“ Sie haben nach den „entspannten“ Sommermonaten Schmerzen im Rücken und die professionelle Hilfe rät nach zwei Minuten mit Blick auf den kleinen Bauch: „Essen Sie weniger und bewegen Sie sich mehr. Dann wird’s“. Das lässt manchen ratlos zurück und führt zu (berechtigter) Abwehr: „Ich würde mich ja gern mehr bewegen, wenn ich keine Schmerzen hätte.“
Lässt sich dann diagnostisch nichts finden, gibt es oft vorschnell den Stempel: Psyche. Dann wird eine psychosomatische Störung angenommen und Psychotherapie empfohlen. Diese kann eine sinnvolle Begleitung sein, löst die Beschwerden aber allein oft nicht auf.
Zur sensomotorischen Körpertherapie gehört ein Konzept (und die Fähigkeit) der empathischen Behandlung und Berührung, der positiven Ansprache, sowie aktives und passives Bewegen (zum Beispiel am Kopf) und verständnisvolles, aktives Zuhören.
Manualtherapeuten und -therapeutinnen sind meistens keine ausgebildeten Psychotherapeuten. Bewegung, Berührung und andere manualtherapeutischen Vorgehensweisen erzeugen aber positive Wechselwirkungen, die von psychologischen Therapeutinnen und Therapeuten und von Fachärzten im Sinne einer systemischen Wechselwirkung mit genutzt werden können.
Ausblick
Empathie und Methodenkoffer sind für die manuelle Körpertherapie wichtige Instrumente für eine wirksame Behandlung. Es ist das Ziel, die therapeutische Fähigkeit des Spürens weiterzugeben an die Patienten, damit sie ihre Körperwahrnehmung verbessern und lernen, ihre Spannungen wieder selbst zu regulieren. Dies erlaubt „mühelose Bewegungen“ (Feldenkrais 1991, S. 20). Wir – manuelle Therapeuten und Therapeutinnen - rühren im positiven Sinn
- an der faszialen Gleitfähigkeit,
- der muskulären Steuerung und
- am autonomen Nervensystem.
Allerdings besteht weiterhin Forschungsbedarf hinsichtlich der Auswirkungen spezifischer Interventionen auf propriozeptive Sinnesmodalitäten an unterschiedlichen Gelenken (Pleger 2019), so wie auch Bedarf an Forschung zu myofaszialen manuellen Therapieformen existiert. All das ist auf einem guten Weg und macht Hoffnung auf weitere und evidenzbasierte Fortschritte in der myofaszialen Therapie. Dafür brauchen wir neugierige Wissenschaft und Erkenntnisinteresse (also ruhig einen Blick in die ehrenwerte Liste der verwandten Literatur werfen - eine Art Nominierungsliste für kritische Forschung myofaszialer Effekte) und den Transfer dieser Erkenntnisse in die Praxis evidenter manueller Therapieformen.
Dank an die fachärztliche kritische und konstruktive Überprüfung:
- Prof. Dr. Hajo Schneck (Arzt für Anästhesiologie, Schmerztherapie),
- Dr. Petronela Monticelli-Mayer, M.D. (plast. Chirurgie)
- Dr. Evelyn Bittner (Ärztin für Allgemeinmedizin, Anästhesie), Pohltherapeutin
- und an Renate Bruckmann für Geduld und Tipps
Literaturverzeichnis
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(Anmerkung des Autors: An dieser Veröffentlichung arbeitete auch der Forscher Ali Ertürk des Helmholtz-Zentrums in München (Schlaganfall- und Demenzfoschung) mit. Desweiteren ist das Helmholtz-Zentrum mit Rinkevich (Narbenbildung) an weiterer Grundllagenforschung beteiligt. Damit werden nebenbei auch tiefe bildgebende Einblicke in das extrazelluläre Gewebe der Faszienstrukturen ermöglicht. Für Faszienforscher wie C Stecco, A Stecco, Schleip oder Wilke möglicherweise spannende Perspektiven um Effekte der Faszienmanipulation sichtbar zu machen.)
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ABBILDUNGEN
FOTO: BEHANDLUNG - A. KLEIN 2023
ABBILDUNG: FASZIEN, T. MÖRGEN 2024
ABBILDUNG DYNAMISCHE LIGAMENTE, T. MÖRGEN 2024
ABBILDUNG MUSKELFASERN UND SPINDEL, T. MÖRGEN 2024
ABBILDUNG WDR-NEURONE, T. MÖRGEN, 2024
ABBILDUNG SEPTEN & GOLGI-REZEPTOREN, T. MÖRGEN 2024
ABBILDUNG LAGE VON PACINI, RUFFINI, FREIE NERVENENDIGUNGEN, T. MÖRGEN 2024
ABBILDUNG FASZIENSCHICHTEN, T. MÖRGEN 2024