Rückenschmerzen sind wie Schnupfen?
In dieser Episode diskutiert Professor Dr. Hanno Luomayoki moderne, ganzheitliche Ansätze zur Behandlung von Rückenschmerzen. Im Fokus stehen die Bedeutung von Bewegung, Körperwahrnehmung, Stressbewältigung und patientenzentrierter Therapie – unter Berücksichtigung sowohl körperlicher als auch psychologischer Faktoren.
Prof. Dr. Hannu Luomajoki ist Professor für muskuloskelettale Physiotherapie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er nimmt eine bedeutende Stellung in der modernen Physiotherapieforschung ein, insbesondere im Bereich der Bewegungskontrolle und Rückenschmerzbehandlung.
Seine wissenschaftlichen Beiträge haben das Verständnis und die Behandlung von Bewegungsdysfunktionen verändert.
Ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf Hands-off-Methoden in der Physiotherapie. Sein aktuelles Buch zu diesem Thema beleuchtet moderne Ansätze (2024 Time Verlag): Schmerzedukation, Kommunikation, sozuiale und emotionales Kompetenzen (Soft skills) und Behandlungsansätze, die die Eigenverantwortung der Patienten fördern und die Abhängigkeit von passiven Behandlungen verringern. Luomajoki trägt damit wesentlich wesentlich zur Integration neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in die Physiotherapie und in die Behandlung von Schmerzen bei.
Schmerzwahrnehmung: Von der Nozizeption zum Schmerz
Psychologische Faktoren spielen laut Professor Luomayoki eine zentrale Rolle bei Rückenschmerzen. Er betont, dass Schmerzen häufig nicht ausschließlich auf akute körperliche Schäden zurückzuführen sind, sondern dass psychologische und emotionale Aspekte maßgeblich zur Schmerzwahrnehmung beitragen. Die klassische Trennung von Körper und Geist gilt heute als überholt; stattdessen ist eine ganzheitliche Betrachtung notwendig, bei der auch Stress, Angst und negative Gedankenmuster berücksichtigt werden.
Professor Luomayoki erklärt, dass Angst und Unsicherheit im Umgang mit Rückenschmerzen die Beschwerden verstärken können. Viele Patienten entwickeln Schonhaltungen und vermeiden Bewegung aus Angst vor weiteren Schmerzen, was letztlich zu einer Verschlechterung der Situation führen kann. Die psychologischen Komponenten – insbesondere die eigene Einstellung, Gedanken und Gefühle in Bezug auf den Rücken – beeinflussen stark, wie Schmerzen empfunden und verarbeitet werden.
In der Therapie ist es daher wichtig, nicht nur die körperlichen Symptome zu behandeln, sondern auch die psychologischen Hintergründe und Stressfaktoren aktiv anzugehen. Ein empathischer, patientenzentrierter Ansatz, der auf Aufklärung, Reframing negativer Gedanken und Förderung von Zuversicht setzt, kann nachgewiesenermaßen die Schmerzintensität reduzieren. Zudem verstärkt chronischer Stress die Schmerzempfindlichkeit und kann zu Veränderungen im Bindegewebe führen.
Bewegungsdysfunktion
Hierbei handelt es sich um schmerzhafte und eingeschränkte Bewegungen. Die Bewegung selbst ist limitiert, einzelne Bewegungen verursachen Schmerzen und der Bewegungsumfang ist reduziert. Diese Form von Rückenschmerz ist meist gut behandelbar, beispielsweise mit manualtherapeutischen Techniken.
Bewegungskontrolldysfunktion
Bei dieser Form ist die Beweglichkeit an sich nicht unbedingt eingeschränkt, und einzelne Bewegungen tun meist nicht weh. Die Schmerzen entstehen vielmehr in länger gehaltenen Positionen, wie langem Sitzen, Stehen oder nach dem Liegen. Ursache ist eine Störung in der motorischen Kontrolle, also der Ansteuerung und Koordination der Muskulatur. Häufig fehlt das Körperbewusstsein, und Betroffene nehmen ihre Haltung oder Bewegungsausführung nicht richtig wahr. Die Diagnostik erfolgt über spezielle Tests, und die Behandlung besteht aus gezielten Übungen zur Verbesserung der Bewegungskontrolle
Stressbewältigung
Stressbewältigung ist in der Schmerztherapie wichtig, weil Stress einen direkten Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung und den Verlauf von Schmerzen hat. Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin können körperliche Veränderungen hervorrufen, wie eine verminderte Durchblutung der Muskulatur und Faszien, was zu Verspannungen und Verklebungen führen kann. Gleichzeitig erhöhen diese Hormone die Empfindlichkeit des zentralen Nervensystems, sodass Schmerzen intensiver wahrgenommen werden.
Darüber hinaus kann emotionaler Stress die Fähigkeit des Bindegewebes, sich zu bewegen und zu regenerieren, beeinträchtigen. Studien zeigen, dass akute Stressbelastungen zu messbaren Veränderungen im Gewebe führen können, wie einer eingeschränkten Beweglichkeit der Faszien. Stress begünstigt somit einen Teufelskreis: Schmerzen führen zu Stress, und Stress verstärkt wiederum die Schmerzen.
Erfolgreiche Schmerztherapie
Eine erfolgreiche Schmerztherapie sollte daher nicht nur die körperlichen Symptome, sondern auch die psychologischen und sozialen Stressoren adressieren. Techniken zur Stressbewältigung, wie Entspannung, Erholung und Schlaf, helfen, die Empfindlichkeit für Schmerzen zu senken und die körperliche Regeneration zu fördern. Ein ganzheitlicher Ansatz, der Stressmanagement einschließt, trägt dazu bei, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und Rückfällen vorzubeugen.
Zusammenfassung
- Rückenschmerzen sind weit verbreitet, ähnlich häufig wie Erkältungen.
- Viele Schmerzen zeigen keinen akuten körperlichen Schaden, psychische Faktoren sind wichtig
- Die Trennung von Körper und Geist (Descartes) ist überholt.
- Schmerzmittel wie Tilidin werden häufig eingesetzt, sind aber oft keine Lösung.
- Bewegungsdysfunktion: Schmerz und Einschränkung bei Bewegung • Bewegungskontrolldysfunktion: Schmerz bei gehaltenen Positionen, gestörte motorische Kontrolle, meist ohne Bewegungseinschränkung, oft mit gestörtem Körperbewusstsein
- Bewegung ist zentral in der Therapie, besonders bei mechanischen Rückenschmerzen.
- Rückenschmerzen lassen sich in Bewegungsdysfunktion und Bewegungskontrolldysfunktion unterscheiden.
- Körperwahrnehmungsstörungen sind häufig, gezielte Übungen helfen.
- Gehen ist eine effektive Prävention und Therapie bei Rückenschmerzen.
- Ganzheitliche und patientenzentrierte Ansätze • Psychologische, soziale und emotionale Aspekte müssen in die Therapie integriert werden.
- Empathie und verständnisvolle Kommunikation sind entscheidend für Therapieerfolg.
- Angst und Stress verstärken Schmerzen und beeinflussen Faszien negativ.
- Stressbewältigung, Entspannung, Schlaf und Ernährung sind wichtige Therapiebausteine.
- Verhaltensänderung ist schwierig, Erfahrung und Verständnis fördern Motivation.
- Ganzheitliche, individuelle Ansätze und Gesundheitscoaching sind notwendig.
Hören - PODCAST NR. 8
Spotify POD8 - https://open.spotify.com/episode/7quK789dY4Bb4xF3rrAejk?si=55f2d0c41e1d4085
PODCAST.De POD8 https://www.podcast.de/episode/695140786/faszienierend-nr-8-rueckenschmerzen-schmerzen-hands-off-strategien

